Blick nach Rechts, Rainer Roeser
Geht es nach der Mehrheit in der AfD, stellt sich ein paar Tage vor dem Bundesparteitag in Hannover nur die Frage, wer an der Seite von Jörg Meuthen neuer Ko-Sprecher der rechtspopulistischen Partei wird. Doch es gibt auch andere Meinungen. In Düsseldorf zum Beispiel. Die von 16 auf 13 Mitglieder geschrumpfte AfD-Fraktion im nordrhein-westfälischen Landtag präsentierte am Wochenende ihre ganz eigene Wahlempfehlung: eine „Doppelspitze mit Herz und Verstand“. Der Fraktion, bis zu seinem Austritt beinahe unangefochten von Marcus Pretzell dominiert, schwebt das Duo Alice Weidel/Georg Pazderski als neues Dreamteam der AfD vor.
Es ist die Meinung einer Minderheit - doch es es gibt jene Mitglieder, die Meuthen im Grunde genommen zweierlei nicht verzeihen können: Dass er im Bunde mit dem völkisch-nationalistischen Kräften in der AfD alle Versuche verhindert hat, die Partei zu realpolitischen Bekenntnissen à la Frauke Petry zu bewegen. Und dass er mit der Demontage seiner Ko-Sprecherin Frauke Petry deren Abgang zumindest enorm beschleunigt hat.
„Doppelspitze mit Herz und Verstand"
Passend zum „Doppelspitze mit Herz und Verstand“-Foto mit Weidel und Pazderski veröffentlichte die NRW-Fraktion Teile eines Interviews, das ihr parlamentarischer Geschäftsführer Andreas Keith einem Blatt der Nachwuchsorganisation „Junge Alternative“ gab. „Alice Weidel ist für mich die natürliche Kandidatin. Intelligent, weltgewandt, hochgebildet, eloquent und als Fraktionsvorsitzende mittlerweile ohnehin das Gesicht der Partei“, sagt Keith, der durch strategische Überlegungen bisher nicht aufgefallen ist, wohl aber dadurch, dass er als Landesgeschäftsführer mit Ex-NRW-Chef Pretzell durch dick und dünn gegangen ist.
Wen er sich neben Weidel vorstellt? „Jemand mit Führungskompetenz, der Fähigkeit, strukturell zu arbeiten und mit Erfahrung als Sprecher eines größeren Verbands“, sagt Keith. Jemand, „der einbinden und dennoch ein klares Wort sprechen kann“, der „tatsächlich vor Ort ist“ und die parteiinternen Verwaltungsabläufe kenne. „Mein Favorit ist der kompetenteste und integerste Kandidat, der parteiloyal ist und Alice Weidel perfekt ergänzt“, sagt Keith: „Wenn Sie meinen, das sei Georg Pazderski, kann ich allerdings nicht widersprechen.“
Mehr Einfluss für völkisch-nationalistisches Lager
Keiths Gedankenspiele haben gravierende Nachteile. Dass sein Duo für derlei Aktionen, Meuthen zu verhindern, zur Verfügung stünde, erscheint äußerst unwahrscheinlich. Weidel hatte bereits vorher verlauten lassen, sie habe als Vorsitzende der 92 Bundestagsabgeordneten den „klaren Auftrag“, ihren „Fokus auf den Aufbau dieser Fraktion zu richten“ und hege „keine Ambitionen“, für den Vorstand zu kandidieren. Ähnlich unwahrscheinlich ist es, dass sich die 600 Delegierten, die sich am 2. und 3. Dezember in Hannover treffen, auf derlei personalpolitische Kamikaze-Aktionen einlassen würden.
Sehr viel eher ist zu vermuten, dass das völkisch-nationalistische Lager seinen Einfluss in der AfD-Führung ausbauen kann. Vor zwei Jahren hatten sich die Anhänger von Björn Höcke mit nur einem Beisitzer zufriedengegeben. So viel Bescheidenheit ist diesmal nicht zu erwarten. Noch-Beisitzer André Poggenburg peilt diesmal den stellvertretenden Bundesvorsitz an. Höcke selbst hat sich zu seinen Ambitionen noch nicht klar geäußert. Bisher hatte er den offenen Konflikt in der Partei - und das wäre die Folge seiner Kandidatur - stets vermieden. Sein Verzicht würde den Preis aber noch einmal hochtreiben. „Flügel“-Mann Andreas Kalbitz, Landes- und Fraktionsvorsitzender in Brandenburg, käme in Frage oder ein Kandidat aus Sachsen, etwa der amtierende Landeschef Siegbert Droese.
Schrumpfender Einfluss der „Gemäßigten“
Sachsens AfD dürfte ihre personellen Begehrlichkeiten besonders energisch vorbringen. Immerhin gelang es der Partei, bei der Bundestagswahl zwischen Bautzen, dem Leipziger Land und dem Erzgebirge sogar die CDU hinter sich zu lassen. Aber auch die anderen vier Ost-Landesverbände, die derzeit nur zwei von zwölf Vorstandsmitgliedern stellen, werden auf eine stärkere Repräsentanz in der Parteispitze drängen. Hinweisen können sie auf ihre Ergebnisse bei der Bundestagswahl. Dort steuerten sie Werte von mehr als 20 Prozent bei, während im Westen die Zahlen nur halb so hoch lagen.
Schrumpfen dürfte hingegen der Einfluss derer, die sich als „gemäßigt“ darstellen. Noch-Vorstandsmitglied Dirk Driesang, einer der Initiatoren der „Alternativen Mitte“ tritt nicht mehr an. Noch-AfD-Vize Albrecht Glaser wird im Januar 76 Jahre alt - keine gute Voraussetzung für die Fortsetzung der Parteikarriere parallel zum Bundestagsmandat. Julian Flak hat sich im Vorstand bisher eher kleinteiligen Satzungsfragen gewidmet - nichts, was der innerparteilichen Profilierung dient.
Drei Landeschefs für Einer-Spitze
Die gesamte Vorstandsarchitektur stellt ein Antrag in Frage, den drei Landesvorsitzende aus Sachsen-Anhalt, Baden-Württemberg und Bremen einbringen. André Poggenburg, Marc Jongen und Frank Magnitz wollen weg von der Doppelspitze. Das häufige Kompetenzgerangel an der Spitze habe die Partei gelähmt, klagen sie. Fraktionschef Alexander Gauland, im Moment der starke Mann der AfD, hält dagegen. „Es hat sich in der Bundespartei als vernünftiges Prinzip durchgesetzt, an der Spitze zwei Personen zu haben, die unterschiedliche Strömungen und Regionen repräsentieren“, sagte er in einem Interview.
Zwar bezweifeln manche Mitglieder - erst recht nach den Erfahrungen, die sie mit dem Duo Meuthen/Petry gemacht haben -, dass das Prinzip wirklich so vernünftig ist. Doch die Mehrheit scheint Gauland zuzuneigen - wenn es denn gelänge, dass die neuen Führungsleute tatsächlich „zusammen im Team agieren“, wie Gauland es sich wünscht.
Gern gesehener Gast beim „Flügel“
Meuthen ist für das Spitzenduo gesetzt. Gestartet als Anhänger des 2015 verstoßenen Parteigründers Bernd Lucke und als Vertreter des „gemäßigten“ Lagers in den Vorstand geholt, um ein Abbröckeln weiterer Lucke-Anhänger zu verhindern, hat er sich kontinuierlich nach rechts bewegt. Im Bündnis mit Gauland und Höcke gelang es ihm, Ko-Sprecherin Petry zu zermürben. Bei den Treffen des „Flügels“ am Kyffhäuser gehört er mittlerweile zu den gern gesehenen Gästen. Seine Reden begeistern die Basis einer radikalisierten Partei. Zwar bleiben Unterschiede zwischen ihm und einem Höcke oder Poggenburg. Doch an seiner Person wird deutlich, wie schwierig in der AfD des Jahres 2017 eine klare Unterscheidung zwischen „gemäßigt“ und „radikal“ fällt.
Das gilt erst recht für andere Teile des AfD-Personals. Es ist ein angeblich „Gemäßigter“ wie Albrecht Glaser, lange einer der Petry-Getreuen, der dem Islam das Grundrecht auf Religionsfreiheit abspricht, da er eine politische Ideologie und keine Religion sei. (bnr.de berichtete)
„Dumpfe Hetze“
Es ist ein angeblich „Gemäßigter" wie Daniel Roi, Landtagsabgeordneter in Sachsen-Anhalt und Gegenspieler von Poggenburg, der auf Twitter mit Blick auf das Bundestagspräsidium lospöbelte: „Ein Rollstuhlfahrer, Claudia Roth von den Grünen und ein Afrikaner der SPD. Perfektes Abbild der BRD 2017.“ Sogar die vier Bundestagsabgeordneten aus seinem Bundesland befanden, Rois Aussagen seien „dumpfe Hetze“.
Es ist ein angeblich „Gemäßigter“ wie Peter Felser, der angesichts einer Demonstration gegen die AfD das Grundrecht der Demonstrationsfreiheit in Frage stellte: Im Grundgesetz sei geregelt, „dass jeder, der die Meinungs- und Versammlungsfreiheit zum Kampf gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung missbraucht, genau diese Grundrechte verwirkt", merkte Felser drohend an. (bnr.de berichtete)
Es ist ein westdeutscher Landesverband wie der in Bayern, der am vorigen Wochenende Martin Sichert zu seinem neuen Vorsitzenden wählte. Sichert fiel einst durch seine geschichtspolitische Erkenntnis auf, im Zweiten Weltkrieg hätten „die zwei größten Massenmörder“ gewonnen. Lucke wollte ihn dafür ausschließen lassen. Sichert entging dem Rauswurf jedoch. Dem „Münchner Merkur" sagte er zu seinen historischen Einschätzungen: „Da war nichts Rechtsradikales dabei. Dazu stehe ich.“
Auf Kriegsfuß mit Verfassungsprinzipien
Es ist ein ganzer, angeblich „gemäßigter“ Landesverband wie der in Hamburg, der am vorigen Wochenende Medienvertreter bei der Wahl des neuen Landeschefs vor die Tür setzte. Die Landespressekonferenz attestierte der Partei daraufhin ein „ablehnendes Verhältnis zu einer freien Berichterstattung und damit zur Pressefreiheit“.
Als Ganzes ist die AfD nach rechts gedriftet - nicht nur jene Teile, die gemeinhin als „rechtsradikal“ oder „extrem rechts“ beschrieben werden. Auf Kriegsfuß mit tragenden Prinzipien der Verfassung stehen auch viele, die sich selbst als „gemäßigt“ beschreiben würden.
Quelle