PM der Initiative für ein Gedenken an Nguyễn Ngọc Châu und Đỗ Anh Lân
36 Jahre nach den rassistischen Morden – 80 Menschen bei der Kundgebung zum Gedenken an Nguyễn Ngọc Châu und Đỗ Anh Lân!
Heute Mittag versammelten sich ca. 80 Menschen in der Hamburger Halskestraße, um mit einer Kundgebung der beiden vor 36 Jahren von Neonazis der „Deutschen Aktionsgruppen“ ermordeten Nguyễn Ngọc Châu und Đỗ Anh Lân zu gedenken. Der 22jährige Nguyễn Ngọc Châu und sein Zimmergenosse, der 18jährige Đỗ Anh Lân, waren vor dem Vietnamkrieg nach Deutschland geflüchtet und lebten in der damaligen Geflüchtetenunterkunft in der Halskestraße 72, in der sich heute ein Hotel befindet.
Bei der Veranstaltung wurden die Forderungen nach einer Umbenennung der Halskestraße zu ihren Ehren, der Installierung einer dauerhaften Gedenk- und Informationstafel sowie der Umbenennung der Bushaltestelle am Tatort bekräftigt. Unter den Teilnehmer_innen war auch die Mutter Đỗ Anh Lâns, die nach dem Mord an ihrem Sohn nach Deutschland einreisen konnte.
Außer der Initiative für ein Gedenken an Nguyễn Ngọc Châu und Đỗ Anh Lân sprach ein Überlebender des Anschlages in der Halskestraße, ein Überlebender des Brandanschlags in Mölln 1992, sowie Vertreter_innen von Hamburg Postkolonial, der Initiative für die Aufklärung des Mordes an Burak Bektaş, des Bündnis gegen Rassismus Berlin.
Da auch drei Jahre, nachdem ein erstes Mal vor Ort an die Opfer des Brandanschlages erinnert wurde, noch keine offizielle Tafel errichtet ist, wurde diese allerdings nur provisorisch aufgestellt.
Zuvor hatte ein Überlebender des Anschlages, in einem bewegenden Beitrag berichtet, wie er in der Nacht vom 21. auf den 22. August half, einen der beiden durch das Feuer schwer verletzten Männer aus dem Zimmer zu bergen. Er sprach davon, dass er diese Bilder sein Leben lang nicht vergessen würde, von dem Impuls, das Erlebte zu verdrängen – aber auch davon, dass es gut sei, über seine Erinnerungen zu sprechen. Deutlich wurde in diesem Beitrag zudem, wie wenig Unterstützung die überlebenden Bewohner_innen der Unterkunft nach dem Anschlag erhalten hatten.
Neben dem Gedenken an die Opfer und der Erinnerung an diesen grausamen rassistischen Mord, der bis zu einer ersten Gedenkkundgebung vor zwei Jahren fast vollkommen vergessen war, befassten sich weitere Redebeiträge mit der Dringlichkeit und Aktualität des Gedenkens und der Kontinuität rassistischer Morde in Deutschland.
Der Beitrag der Initiative für ein Gedenken an Nguyễn Ngọc Châu und Đỗ Anh Lân setzte sich kritisch mit der offiziellen Hamburger Straßenumbenennungspraxis auseinander. Aus einem an die Initiative gerichteten Schreiben des damaligen Bezirksamtsleiters des Bezirks Mitte, Andy Grote, ging hervor, was einer Umbenennung der Halskestraße entgegen stehe: Neben anderen Hinderungsgründen, ist dies offenbar auch der Umstand, dass die vietnamesischen Namen der beiden Toten nicht der behördlichen Vorstellung entsprechen. So sollten Straßennamen laut Kulturamt „[...] nach Vorgaben des Senats möglichst kurz, einprägsam und für den mündlichen und schriftlichen Gebrauch unmissverständlich sein. Benennungen in fremder Sprache sind unzulässig, wenn die Schreibweise zu falscher Aussprache führen kann.“
Eine solche Einstellung kann gutwillig nur als realitätsfremd gedeutet werden, denn in einer Großstadt wie Hamburg leben seit Jahrhunderten Menschen mit Familiennamen unterschiedlichster Sprache. Es ist schwer vorstellbar, dass die Entscheidung, eine Person mit der Widmung einer Straße zu ehren, anhand der Geläufigkeit des Namens getroffen wird. Im Fall von Nguyễn Ngọc Châu und Đỗ Anh Lân ist eine solche Haltung allerdings nicht akzeptabel. Den Opfern rassistischer Morde auch von offizieller Seite mit einem deutlichen Zeichen zu gedenken, ist ebenso moralische Verpflichtung wie politisches Statement, wie der Vertreter der Initiative in seiner Rede unterstrich:
„Die Frage, ob die Halskestraße […] nach Nguyễn Ngọc Châu und Đỗ Anh Lân benannt wird, ist keine Frage von kurzen oder gut oder schlecht aussprechbaren Namen, es ist eine Frage des politischen Willens […]. Eine Entscheidung darüber, ob man eine Straßenbenennung auch als ein Mittel ansieht, dem Vergessen und Verharmlosen von Rassismus und rassistischen Gewalttaten in Zeiten von Pegida, AfD, identitärer Bewegung usw. entgegenzutreten.“
Das durch den Akt einer Straßenumbenennung verdeutlichte Bekenntnis, die Opfer und Betroffenen nicht zu vergessen und ihnen zumindest symbolisch Raum „in der Mitte der Gesellschaft“ zu schaffen, wäre auch eine Positionierung gegen den gesellschaftlichen Rassismus.
Auf die Schwierigkeiten, auf die Initiativen stoßen, die sich kritisch mit Straßenbenennungen in Hamburg befassen, gingen auch zwei Vertreterinnen von Hamburg Postkolonial ein. Die erste Rednerin unterstrich in ihrem Beitrag die Bedeutung einer umfassenden Dekolonialisierung des Hamburger Stadtraums und die entsprechende Umbenennung von Plätzen, Straßen oder Häusern, die nach Kolonialverbrechern oder -mördern benannt sind. Es geht darum, die darin ausgedrückte Romantisierung und Legitimierung des Kolonialismus zu beenden. Was dies konkret heißt, wurde am zweiten Beitrag von Hamburg Postkolonial deutlich, der die Auseinandersetzungen um die Umbenennung der Walderseestraße und die Aberkennung seiner Ehrenbürgerschaft thematisierte. Waldersee war europäischer Oberbefehlshaber im antikolonialen Boxerkrieg in China. Hamburg Postkolonial schlägt vor, die Straße nach Chong Tin Lam umzubenennen, der in den 1920ern aus dem kriegszerrütteten China nach Hamburg gekommen war. Im Nationalsozialismus organisierte er die Flucht ehemaliger chinesischer Kriegsgefangener und wurde selbst in Fuhlsbüttel und anderen Lagern inhaftiert.
Die ungebrochene Kontinuität rassistische Morde von dem Anschlag in der Hamburger Halskestraße bis in die Gegenwart führte der Beitrag der Berliner Initiative für die Aufklärung des Mordes an Burak Bektaş vor Augen. Burak Bektaş wurde am 5. April 2012 in Berlin-Neukölln auf offener Straße getötet, als ein Unbekannter in eine Gruppe junger migrantischer Menschen schoss. Der Täter wurde bis heute nicht gefasst, daher ist neben den vielen anderen offenen Punkten die Frage, ob Rassismus das Motiv war, zentral und angesichts der Umstände naheliegend.
Die Rednerin unterstrich die große Bedeutung, die den Familien der Opfer zukommt: „Das, was die Familie Arslan, Familie Taşkörpü, Familie Avcı und viele andere mehr geleistet haben, um sich dem Vergessen und Vertuschen rassistisch motivierter Gewalt in Deutschland entgegenzustellen und sogar der eigenen Kriminalisierung sich entgegenstellen mussten, verdient unsere tiefste Anerkennung.“
Für den April nächsten Jahres plant die Initiative eine Kampagne, um anlässlich des 5. Jahrestages des Mordes an Burak Bektaş die Forderungen nach der Aufklärung des Mordes und nach einem sichtbaren Gedenken zu forcieren.
Den mangelnden Willen zur Aufklärung rassistischer Morde in Deutschland, wie aktuell im NSU-Komplex, und die Notwendigkeit der Selbstorganisierung der Betroffenen, verdeutlichte auch ein Überlebender des Brandanschlags in Mölln 1992. Explizit appellierte er an Überlebende und Angehörige, über ihre Erfahrungen zu sprechen. Die Perspektive der Betroffenen, so die Konsequenz, muss einen deutlich zentraleren Stellenwert erhalten, als bisher der Fall.
Das überregionale Interesse an der Hamburger Gedenkinitiative verdeutlichte auch die Teilnahme eines Vertreters des Berliner Bündnis gegen Rassismus, der anmahnte, dass in vielen Fällen von rassistischen Übergriffen die Aufklärung und Gerechtigkeit immer noch ausstehen. Das Verlesen von über 25 Namen von Todesopfern rassistischer Übergriffe, stellvertretend für alle Opfer rassistischer Gewalt, war sehr eindrücklich.
Die Initiative für ein Gedenken an Nguyễn Ngọc Châu und Đỗ Anh Lân möchte sich an dieser Stelle noch einmal sehr herzlich bei allen Beteiligten und Teilnehmer_innen der Kundgebung bedanken.
Initiative für ein Gedenken an Nguyễn Ngọc Châu und Đỗ Anh Lân