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Hungerstreik im Lager Nostorf/Horst

Presseerklärung vom Flüchtlingsrat Hamburg gemeinsam mit Café Exil und Sportalleeprojekt und Koordinationsrat der Iranerinnen und Iraner in Hamburg e.V. (17.09.2010)

Vor 5 Tagen ist Herr S. aus Afghanistan, der in der Landesgemeinschaftsunterkunft (LGU) für Flüchtlinge in Nostorf/Horst, einem Lager, das von Mecklenburg-Vorpommern (MVP) und Hamburg auch als Zentrale Erstaufnahmeeinrichtung (ZEA) für die ersten 3 Monate genutzt wird, in den Hungerstreik getreten. Als Begründung für den Hungerstreik gab er uns gegenüber an, dass er nach drei Monaten in Nostorf/Horst nicht in eine andere Unter-kunft in Mecklenburg-Vorpommern verteilt worden sei und in Nostorf/Horst bleiben müsse.

In der LGU werden zumeist Menschen untergebracht, deren Asylantrag abgelehnt wurde und bei denen die Behörde die Abschiebung plant. Diese Menschen müssen dann oftmals in Nostorf/Horst ein Jahr und länger von der Bevölkerung isoliert und ohne rechtliche Bera-tung und Unterstützung leben. Die Betroffenen erhalten nur ein Taschengeld von monatlich 40 Euro. Eine Teilnahme am gesellschaftlichen Leben und eine Kontaktaufnahme nach außen ist schon deshalb nicht möglich, weil nicht einmal das Geld für den Bus nach Boizen-burg übrig bleibt.

Herr S. will das nicht hinnehmen und teilte uns mit, dass er solange im Hungerstreik bleiben werde, bis er eine andere Unterkunft erhalte, in der er nicht isoliert und ohne Kontakte zur Bevölkerung unter menschenunwürdigen Bedingungen und ohne Perspektive leben müsse.


Herr S. war bereits im Krankenhaus, wurde dann aber wieder nach Horst gebracht. Dort hat er den Hungerstreik fortgesetzt. Einem gerufenen Arzt hat er mitgeteilt, dass er weder es-sen noch Infusionen erhalten wolle. Heute Mittag wurde Herr S. zwangsweise mit Unterstüt-zung der Polizei ins Krankenhaus gebracht, wogegen er heftig protestiert hat. Wie wir erfah-ren haben, wurde Herr S. in die psychiatrische Abteilung eines Krankenhauses verlegt, das wir noch nicht kennen. Bei einer Zwangsernährung besteht, so ist zu befürchten, die akute Gefahr, dass Herr S. Suizid begeht, da er zu allem entschlossen scheint.

Wir haben den Flüchtlingsrat Mecklenburg-Vorpommern informiert. Eine Mitarbeiterin des Flüchtlingsrats MVP hat dann bei den Maltesern in Nostorf/Horst, die die Unterkunft betrei-ben und beim dortigen Medizinischen Dienst angerufen. Beide Stellen behaupteten, nichts von einem Hungerstreik zu wissen, auch heute Mittag noch nicht, nach-dem Herr S. von der Polizei und einem Krankenwagen abgeholt wurde. Auch gegenüber dem Vorsitzenden der Ärztekammer Mecklenburg-Vorpommern, Herrn Dr. Andreas Crusius, der zwischenzeitlich informiert wurde, gaben sich die Zuständigen in Nostorf/Horst zuerst unwissend, mussten aber dann zugestehen, dass sich Herr S. im Hungerstreik befindet. Hierzu: Der AWO Kreis-verband Ludwigslust, der Träger der medizinischen Beratung in Nostorf/Horst ist, wurde ca. 11:30 Uhr von einem Mitarbeiter des Flüchtlingsrats Hamburg über den Vorfall informiert.

Es sieht so aus, als ob der Hungerstreik totgeschwiegen werden soll.

Zur Situation in der Flüchtlingsunterkunft Horst:
Die Situation ist katastrophal. Mittlerweile sind die Menschen dort zu allem entschlossen. Sie haben für heute ab 7:00 Uhr Proteste angekündigt.

  •  Die Flüchtlinge protestieren gegen
  • Völlige Isolation: Flüchtlinge, die Mecklenburg-Vorpommern zugeteilt sind, müssen oftmals ein Jahr und länger in Nostorf/Horst bleiben. Sie haben kaum Kontakt nach außen, da die Unterkunft auf dem Lande, 8 km von Boizenburg entfernt, liegt.
  • Völlig unzureichende rechtliche Beratung: Die dort untergebrachten Menschen fühlen sich mit dem Asylverfahren völlig allein gelassen. Die Beratungsstelle des Flüchtlingsrats Mecklenburg-Vorpommern ist nur einmal pro Woche, jeweils dienstags, von 9 - 15 Uhr geöffnet. Die dort arbeitende Mitarbeiterin muss 300 - 400 Menschen betreuen, was unmög-lich ist. Nicht einmal die Fahrten zu RechtanwältInnen und Beratungsstellen, geschweige denn die rechtliche Beratung durch RechtsanwältInnen, können die dort zwangsweise unter-gebrachten Menschen bezahlen. Sie erhalten maximal 40 Euro pro Monat. Die Chance auf ein faires Asylverfahren wird ihnen konsequent und bewusst vorenthalten.
  • Völlig unzureichende medizinische Versorgung: Die Menschen erhalten zum größten Teil nur Schmerzmittel (Paracetamol), die Überweisung zu Fachärzten wird oftmals ver-weigert und erfolgt dann auch nur bei mehrfachem Nachfragen.
  • Das Essen, so die Menschen dort, sei eine Katastrophe. Zudem sie die Mensa viel zu klein. Die Leute müssen lange draußen warten, um eingelassen zu werden, da in Etappen gegessen wird.
    Viele der Betroffenen sind deshalb sehr aufgebracht. Hierin liegt wohl auch die Ursache für den Streit, der am 30.08.2010 in der Kantine ausgebrochen und eskaliert ist und zu mehre-ren Verletzten, drei davon schwer, geführt hat.

    Als sofortige Maßnahmen fordern wir zusammen mit den in Nostorf/Horst lebenden Menschen:
  • Sofortige Schließung der Landesgemeinschaftsunterkunft Nostorf/Horst!
  • Alle auf Mecklenburg-Vorpommern verteilten Menschen müssen spätestens nach drei-monatiger Aufenthaltsdauer in der ZEA Nostorf/Horst Wohnungen erhalten, in denen sie nicht isoliert und ohne Kontakte zur Bevölkerung unter menschen-unwürdigen Bedingungen und ohne Perspektive leben müssen!
  • Sofortiger Stop der Unterbringung von Hamburg zugeteilten Flüchtlingen in Nostorf/Horst!

    Darüber hinaus fordern wir für alle Menschen:
  • Wohnungen statt Lager!
  • Bewegungsfreiheit und freie Wahl des Wohnortes!
  • Bleiberecht und gleiche Rechte für alle!    

Für den Flüchtlingsrat Hamburg
Dr. Franz Forsmann