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Kein Fussbreit den Neonazis! Gegen Sozialdarwinismus und Rassismus im deutschen Bildungssystem

Aufruf der GEW-Studies zu antifaschistischen Protesten

Die Hamburger NPD und die „freien“ Kräfte mobilisieren zu einer Kundgebung gegen die schwarz-grüne Schulreform am 17.07.2010 um 11:00 Uhr. Die rassistische Ideologie der Neonazis knüpft dabei an der alltäglichen Diskriminierung von Migrant_innen an, die im Bildungssystem und in der Mitte der Gesellschaft verwurzelt ist.

Die 2009 von allen in der Bürgerschaft vertretenen Parteien beschlossene Schulreform soll die vierjährige Grundschule durch die sechsjährige Primarschule ersetzen. Statt des viergliedrigen Schulsystems soll es in Zukunft nur noch zwei Schulformen, die exklusiven Gymnasien und die Stadtteilschulen geben. Dagegen gründete sich bereits Anfang 2008 die bildungselitäre Initiative „Wir wollen [ohne Arbeiterkinder] lernen“ die mit dem zur Zeit laufenden Volksentscheid die Schulreform aufhalten will. Unterstützt wird sie – und das zeigt schon wohin der Hase läuft – von FDP und NPD.

Spätestens bis zum 18. Juli 2010 können alle wahlberechtigten Hamburger_innen darüber entscheiden, ob Hamburger Schulkinder in Zukunft länger gemeinsam in der Primarschule lernen, oder ob sie weiterhin nach der vierten Klasse auf Sonder-, Haupt-, Realschule oder Gymnasium verteilt werden. Dabei ist anzumerken, dass ein Teil (ca. 11%) der Hamburger_innen zur Teilnahme am Volksentscheid – aufgrund des fehlenden deutschen Passes – nicht zugelassen ist. Damit wird die Bevölkerungsgruppe von der Wahl ausgeschlossen, die grundlegendes Objekt für den rechten Diskurs um die Schulreform ist. Dieser soll im folgenden skizziert werden.

.. auch die Neonazis der NPD-Hamburg wollen lernen!
In der kontrovers geführten Debatte will nun auch die Hamburger NPD öffentlichkeitswirksam mitmischen, und plant für den 17.07.10 eine Kundgebung gegen die Schulreform. Der Grund der Neonazis sich gegen die schwarz-grüne Schulreform zu engagieren kann im Aufruf nachgelesen werden. Dort steht, dass die NPD ein „Menschenbild“ habe, das „von der natürlichen Ungleichheit aller Menschen, auch innerhalb des deutschen Volkes“ ausgehe. „Intelligenz und andere Qualifikationen“ seien „nach Erkenntnissen der modernen Biologie zu etwa gleichen Teilen genetisch vorbestimmt“. Zudem schreibt die NPD von „überfremdeten Stadtteilen“ und propagiert die „konsequente Sonderbeschulung von Ausländern und leistungsunfähigen deutschen Schülern, um zu verhindern, dass die gutwilligen deutschen Schüler (…) negativ beeinflusst werden.“ Diese Aussagen zeigen das sozialdarwinistische und rassistische Menschenbild der Neonazis, das die bestehende strukturelle Ungleichheit im Bildungssystem nach den Kriterien des Deutsch-seins und der individuellen Leistungsfähigeit weiter verschärfen will. Diese Meinung – so extrem sie klingen mag – ist jedoch auch in der Mitte der Gesellschaft weit verbreitet.
Der ganz banale Rassismus
Nicht ohne Grund wurde Bundesbank-Vorstand Thilo Sarrazin (SPD) mit seinem Gepöbel über Migrant_innen nicht als Rassist gebrandmarkt (obwohl in einem wissenschaftlichen Gutachten genau das bestätigt wird, nämlich dass seine Aussagen eindeutig rassistisch waren), sondern von zahlreichen Medien für seinen Mut bewundert wird, da er endlich „unbequeme Wahrheiten“ aussprechen würde. Eine vom Soziologen Wilhelm Heitmeyer veröffentlichte Studie ergab, dass 48,5% und damit nahezu jede_r zweite Deutsche „fremdenfeindliche“ Einstellungen vertritt. „Rassistische Einstellungen finden sich in allen Lebensbereichen der Gesellschaft: Medien, Arbeitsmarkt, Politik, Bildung. Sie äußern sich nicht unbedingt in Gewalt. Viel häufiger sind die kleinen, versteckten Formen von alltäglicher Ausgrenzung und Diskriminierung, die schwer zu erfassen sind.“ (Wagner, BR-online). So ist auch nicht verwunderlich, dass auch innerhalb des Schulsystems Rassismus vorhanden ist und auch in Diskursen über Schul- und Bildungspolitik rassistisches Wissen „Erklärungen“ z.B. für Bildungserfolge liefert.

Reproduktion von Rassismus im Schulsystem
Bezogen auf das deutsche Schulsystem hat das rassistische Wissen (über „people of colour“ und Menschen mit sog. Migrationshintergrund) die Funktion die realen Ungleichheiten zu „erklären“, ohne die bürgerliche Ideologie der „Chancengleichheit“ in Frage zu stellen. „Die ‚Illusion der Chancengleichheit‘ (…) besteht darin, dass unter der Maxime der Gleichberechtigung und Chancengleichheit zwar gleiche Ausgangsbedingungen im Bildungssystem zur Verfügung gestellt werden, dies aber insofern zu einer raffinierten, da maskierten Form der Reproduktion von Ungleichheit beiträgt, weil die nicht zufällig, sondern aufgrund ihrer sozialen Herkunft und Zugehörigkeit Privilegierten von diesem ‚gleichen Wettbewerb unter Ungleichen‘ profitieren. Differenzunempfindlichkeit, auch jene, die einem egalitären Anspruch entspringt, trägt bei gegebenen Differenzen zu einer Ungleichbehandlung bei.“ (Prof. Mecheril 2004)

Die in zahlreichen Studien (z.B. von Gomolla und Radtke) festgestellte strukturelle Diskriminierung von Jugendlichen mit sog. Migrationshintergrund in der Schule zeigt sich dadurch, dass deren Anteil auf Sonder- und Hauptschulen im Vergleich zu anderen weiterführenden Schulen überproportional hoch ist. Wichtig ist, dass es beim strukturellen Rassismus nicht ausreicht, einzelne Lehrer_innen oder gar die Betroffenen selbst als Grund heranzuziehen. „Dass Schule mit ihren Selektionsmechanismen so wirkmächtig und unhinterfragt ist, dass trotz Pisa und IGLU keine grundlegenden Veränderungen des Schulsystems angegangen werden, verweist darauf, dass auch hier strukturelle Probleme individualisiert werden: Weil „sie“ anders, nicht wie „wir“ seien, weil „sie“ weniger gebildet seien und weniger Wert auf Bildung legten, weil „sie“ kein demokratisches Schulsystem kennen würden, weil „sie“ zu Hause kein Deutsch sprächen, schnitten Migrantenkinder und – Jugendliche in der Schule teilweise so schlecht ab. Die Bildungsmisere von Kindern und Jugendlichen mit Migrationshintergrund wird auf diese Weise kommuniziert und ist scheinbar plausibel.“ (IDA- NRW)

Kulturrassismus als Erklärung von sozialen Ungleichheiten
Wer jedoch diese strukturelle Diskriminierung verneint und gleichzeitig an der Ideologie der „Chancengleichheit“ in der Schule festhalten will, muss dann den Grund bei den Betroffen selbst suchen. So wird ganz klassisch Liberalismus-like, die strukturelle Ungleichheit in individuelle Schuld oder Unvermögen umgemünzt. Im Sinne kulturrassistischer Interpretationsmuster wird so das schlechte Abschneiden von Jugendlichen mit sog. Migrationshintergrund aufgrund von „Nicht-Integration“ oder „kultureller Disposition“ erklärt. Kulturrassistisch beeinflusste Deutungsmuster lenken so von der eigentlichen Ursache, nämlich ökonomischer, politischer und sozialer Konflikte und dem Rassismus in der Schule ab. Und was bei „gut situierten“ Bürger_innen noch fehlender Leistungswille und Integrationsbereitschaft ist, schlägt bei Neonazis in Kultur- und biologischen Rassismus um. Der Neorassismus benutzt dabei anstatt des wissenschaftlich widerlegten Konstrukts der „Rasse“ die Dimension Kultur, als das absolut Trennende der Menschen, die naturgegeben erscheint. Diese Naturalisierung gesellschaftlicher Verhältnisse ist das gemeinsame von Kultur- und biologischen Rassismus (vgl. Auernheimer, 2001).

Kein Platz für Alltagsrassismus – Neonazis verjagen!
Sicher ist, dass Rassismus kein Privileg von Neonazis ist, sondern alltäglich auch in der Mitte der Gesellschaft und bei sich als politisch Links nennenden Menschen vorhanden ist. Deswegen ist es wichtig, diesen nicht nur in der extremen Form, wie er von den Neonazis propagiert wird, anzugreifen sondern auch seine subtilen Formen im Alltag und institutionellen Strukturen zu dekonstruieren und damit der Naturalisierung gesellschaftlicher Herrschaftsverhältnisse entgegen zu wirken.

Kommt alle am Samstag den 17.07.10 um 11:00 Uhr um gegen die Kundgebung der Neonazis zu protestieren.

Keine Stimme für „Wir wollen lernen“!
Beteiligt euch an den Aktionen gegen die NPD Kundgebung am 17.07.2010

Für selbstbestimmte Bildung und Wissens-Communismus
statt Produktion von Humankapital

Da die Neonazis wissen, dass ihre Kundgebung nur unter massivem Schutz der Polizei stattfinden kann und aus Angst vor antifaschistischer Mobilisierung haben sie bis jetzt den Ort der Kundgebung nicht bekanntgegeben. Neuste Infos zu Zeit und Ort wird es auf der Internetseite des Hamburger Bündnis gegen Rechts und hier geben.