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Mahnwache auf dem Bornplatz am 9. November – 20 Jahre nach dem Mauerfall

Lokalberichte Hamburg Nr. 23/24, von Lothar Zieske (ein etwas verspäteter Bericht)

Die Mahnwache zur Erinnerung an die Pogromnacht vom 9. November 1938, in der auch die Bornplatz-Synagoge in Brand gesetzt worden war, musste in diesem Jahr unter einem besonderen Vorzeichen stehen. Das Datum war von dem des Mauerfalls vor 20 Jahren nicht zu trennen.

VVN-BdA, Jüdische Gemeinde und Universität Hamburg hatten den Termin für die Mahnwache, die in den letzten Jahren üblicherweise an einem Donnerstag, vor der Veranstaltung des Auschwitz-Komitees, stattfand, in diesem Jahr auf einen Montag gelegt: auf Montag, den 9. November. Damit stand die Mahnwache in direkter Konkurrenz zu den Einheitsfeiern, und diese Entscheidung kann nur begrüßt werden angesichts von Bestrebungen, die faschistischen Verbrechen zu verharmlosen, indem man sie in Vergleich zu denen in der DDR setzt. (Vgl. meinen Veranstaltungsbericht über einen Vortrag Wolfgang Wippermanns:  „Dämonisierung durch Vergleich“. In: Lokalberichte Hamburg 20-21/2009 [7.10.], S. 8 f.) Dass das Anliegen verstanden worden war, zeigte sich schon allein daran, dass an der Mahnwache deutlich mehr Menschen als in den vergangenen Jahren teilnahmen.

Den Anfang machte die 85jährige Esther Bauer aus New York, die dort, wie sie sagte, ihre Heimat gefunden hat, aber, wenn sie nach Hamburg kommt, wieder Hamburgerin ist. Das war ihrem Tonfall durchaus noch anzumerken, obwohl sie schon seit vielen Jahrzehnten dort lebt. Die Tochter eines jüdischen Schulleiters und einer jüdischen Ärztin berichtete über ihre Lebensgeschichte, dass es dem Publikum den Atem verschlagen konnte: Ein jüdisches Schicksal im 20. Jahrhundert wie viele; aus einer behüteten Jugend ins Konzentrationslager gestoßen, die Eltern dort verloren, zur Arbeit in der Rüstung gezwungen, schwerste Krankheiten durchgestanden, den Lebensgefährten (aus einer „Ghetto-Ehe“) verloren – und trotzdem eine Schilderung, die sich durch ihre Leichtigkeit auszeichnete. Trotzdem wird den Anwesenden dadurch die Schwere dieser Erinnerung nicht verborgen geblieben sein.

Esther Bauer beendete ihren Beitrag, indem sie – typisch: beiläufig – sagte, sie wolle noch eine Geschichte erzählen. Sie begann damit, dass sie von ihrer Begeisterung für die Musik berichtete. In einem Konzert in New York habe sie außer Klassik auch ein Stück des aus Russland stammenden zeitgenössischen Komponisten Schnittke gehört. Das Stück habe ihr zwar nicht sehr gut gefallen, aber sie habe sich für die Lebensdaten Schnittkes interessiert und festgestellt, dass er 1998 in Hamburg gestorben sei. Als sie bei ihrem Friseur saß, der, wie sie sich ausdrückte, allen die Haare schnitt – „auch Männern und Hunden,“ - , habe sie einen Mann Schnittkes Namen nennen hören und mischte sich sofort in dessen Gespräch ein. Sie habe dabei erwähnt, dass Schnittke in ihrer Heimatstadt gestorben sei. Gefragt, wie sie von Hamburg nach New York gelangt sei, habe sie von ihrer Befreiung in Mauthausen erzählt. Daraufhin der Mann: „Mauthausen? 5. Mai 1945?“ Das war Esther Bauers Befreiungsdatum. Als der Mann dies gehört habe, habe er gesagt: “Dann habe ich Sie befreit!”

Die Erinnerung besteht nicht nur aus solchen rührenden Geschichten. In der dem Bornplatz benachbarten Talmud-Tora-Schule wurden mehr etwa 330 Schülerinnen und Schüler deportiert und ermordet. Darauf wies der Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde, Ruben Herzberg, hin. Er forderte, dass das Gedenken nicht in der Betrachtung der Vergangenheit verharren dürfe, sondern sich auch in die Zukunft richten müsse: So sei es wichtig, mit Stolpersteinen an die ermordeten Kinder und Jugendlichen zu erinnern; es müsse aber auch darum gehen, jüdisches Leben wieder zu beheimaten.

Diesen Gedanken konkretisierte Frank Golczewski, Professor für Osteuropäische Geschichte an der Universität Hamburg, für seinen – den universitären – Bereich: Die Universität sei mit dem ehedem jüdisch geprägten Grindelviertel verbunden; sie habe in der NS-Zeit schwere Schuld auf sich geladen; sie lege gegenwärtig großen Wert darauf, diese Verbindung wiederaufleben zu lassen; so würden die StudienanfängerInnen in ihrer Orientierungseinheit auch auf den Spuren jüdischen Lebens durch das Grindelviertel geführt. Golczewski drückte nebenbei seine Hoffnung aus, dass die Verlagerung der Uni in die Hafencity – eine Idee der „ausbezahlten Präsidentin“ - vom Tisch sei. Wohltuend wirkte es auf mich, dass er sich von den „besoffenen“ Feiern der Deutschen Einheit absetzte.

Zu erwähnen sind noch die Beiträge Michael Ackermanns sowie des Hamburger DGB-Vorsitzenden Uwe Grund, der die erkrankte stellvertretende Ver.di-Vorsitzende Agnes Schreieder vertrat.

Ein ergreifender Schlusspunkt wurde dann durch das Gedenkgebet „El Male Rachamin“ („Gott voller Erbarmen“) gesetzt, das der Kantor Arieh Gelber mit ausdrucksvoller, kräftiger Stimme sang, so dass zeitweise die Mauern der umstehenden Gebäude zu zittern schienen. (Lothar Zieske)