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Ohlsdorfer Friedensfest, 25.07. bis 16.08.2009

 Unter dem Titel „Ohlsdorfer Friedensfest“ finden im Juli und August zahlreiche Veranstaltungen zum Gedenken an die Opfer des Bombenkrieges auf dem Ohlsdorfer Friedhof statt.

Der Hamburger Feuersturm im Juli und August 1943 hat tiefe Spuren in der Stadt hinterlassen. Zahlreiche Hamburgerinnen und Hamburger, Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter, KZ-Häftlinge wurden zu Opfern; der Bombenkrieg traumatisierte die Überlebenden schwer. Diese Katastrophe war kein Naturereignis, sondern eine Antwort auf die nationalsozialistische Herrschaft, die den Zweiten Weltkrieg ausgelöst hat. Der Krieg kehrte erbarmungslos in die Stadt zurück.

Etwa 34.000 Menschen sind am Bombenopferkreuz im Osten des Ohlsdorfer Friedhofs beigesetzt. Die Opfer des Bombenkrieges dürfen nicht dazu missbraucht werden, die Ursachen des Zweiten Weltkrieges umzudeuten und die Verbrechen des Nationalsozialismus zu relativieren. Mit dem Ende der Generationen, die der Erfahrung des Bombenkrieges ausgesetzt waren, hört die Tradition der mündlichen Überlieferung auf. Um die Botschaft dieses Teils der Geschichte - Nie wieder Krieg, nie wieder Gewaltherrschaft - für die heutigen und die folgenden Generationen unmissverständlich auszusprechen, müssen neue Formen der Erinnerung gefunden werden. Wer waren die Opfer des Bombenkrieges? Wie konnte es so weit kommen?

Die Kriegsereignisse bedeuteten auch Verfolgung und Widerstand. Welche Opfer waren hier zu beklagen? In welchem Zusammenhang stehen Nazidiktatur, Verfolgung und Krieg? Dies sind die Fragen, die im Rahmen verschiedener Teilveranstaltungen gestellt und bearbeitet werden.    


Das Bündnis „Ohlsdorfer Friedensfest“
- Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge e.V. / Landesverband Hamburg
- Mobiles Beratungsteam gegen Rechtsextremismus
- Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes. Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten (VVN-BdA)
- Hamburger Bündnis gegen Rechts
- KZ-Gedenkstätte Neuengamme
- Willi-Bredel-Gesellschaft
- „Laut gegen Nazis“ - Rechte Gewalt kann jeden treffen
- Psychosoziale Arbeit mit Verfolgten e.V.

Unterstützt von

- Hamburger Friedhöfe -AöR-
- Behörde für Stadtentwicklung und Umwelt, Hamburg




PRESSE



Ohlsdorfer Friedensfest:
Rede von Herrn Dr. Landgrebe zum Gedenken an die Opfer des Bombenkrieges



Am 25. Juli 2009 wurde das Ohlsdorfer Friedensfest feierlich eröffnet. Wir veröffentlich hier die Ansprache von Herrn Dr. Detlev Landgrebe (Notgemeinschaft der durch die Nürnberger Gesetze Betroffenen e.V. & Gegen Vergessen - Für Demokratie e.V.) zum Gedenken an die Opfer des Bombenkrieges


            Im Juli 1943 als in den Bombennächten weite Teile Hamburgs verwüstet wurden und 34.000 Menschen im Feuersturm ums Leben kamen, war ich 8 Jahre alt. Wir wohnten damals in Reinbek. Kurz vor den Bombennächten brachte mein Vater mich in ein Kinderheim in Kärnten. Auf der Fahrt mit dem Vorortzug zum Hauptbahnhof sah ich zwischen den Stationen Tiefstack, Rothenburgsort und Berliner Tor aus dem Fenster links und rechts des Zuges die unendlichen Reihen von Mietskasernen. Die Stadtteile Billbrook und Rothenburgsort waren damals eng bebaut. Alles war unversehrt und in Ordnung abgesehen von der großen Armut, die auch rein äußerlich diese Stadtteile prägte. Im Oktober 1943 holte mein Vater mich wieder aus Kärnten ab. Er hatte mich nicht darauf vorbereitet, was ich auf der Rückfahrt vom Hauptbahnhof nach Reinbek sehen würde. Daher traf mich schockartig der Anblick der zerstörten Stadt bis zur Station Tiefstack. Es gab keine Häuser mehr und keine Straßen, nur noch riesige Trümmerflächen. Trümmerhaufen zwischen denen sich schmale Pfade schlängelten, auf denen kein Mensch zu sehen war.

            Ich habe diesen Anblick bis heute – 66 Jahre später – nicht vergessen. Wie damals üblich wurde darüber nicht geredet. Mein Vater schien sich keine Gedanken darüber gemacht zu haben, wie dieser Anblick ein Kind verstören könnte. Nur rechts von der Station Tiefstack waren einige Hausmauern aus roten Klinkern mit ihren rauchgeschwärzten Fensteröffnungen erhalten. Hinter den Mauern war nur Leere. Wenn ich nach dem Krieg die Station Tiefstack passierte, habe ich jedes Mal nach den Mauerresten Ausschau gehalten und mich gefragt, was man mit ihnen – für mich ein Denkmal an die Hamburger Bombennächte - wohl machen würde. Später wurden sie in die Neubauten von Wohnungen einbezogen. Ich kann sie heute rechts der Station Tiefstack immer noch sehen. Mein Denkmal ist also erhalten. Nur habe ich das Gefühl, dass außer mir niemand daran denkt, was es mit diesen Mauerresten, auf sich hat.

            Ich stamme aus einer Familie, die wegen der jüdischen Herkunft meiner Mutter von den Nazis verfolgt worden ist. 

            Manche Familienmitglieder wurden ermordet, viele wurden aus Deutschland vertrieben. Mein Großvater wurde als Jude nach Theresienstadt deportiert, obwohl er ein gläubiger Protestant war. Die große Familie wurde zerstört. Nur meine Eltern, mein jüngerer Bruder und ich haben dank der sogenannten arischen Herkunft meines Vaters und dank der Hilfe von zwei einflussreichen Männern in Reinbek überlebt. Für mich war die Nazizeit eine Zeit der Angst. Wenn ich hier die Ansprache zum Gedenken an die Toten des Feuersturms in den Julitagen 1943 halte, ist das keine einfache Aufgabe für mich. Ich bin aufgrund meiner Geschichte gewohnt, mich privat und in der Öffentlichkeit der Ermordung der Juden zu erinnern. Diese Aufgabe hier ist neu und schwierig für mich. Ich will das an einem Zeugnis meines Großvaters  anschaulich machen.

             Er schreibt in seinem Bericht über Theresienstadt – er hat die Deportation überlebt: Man sah ein gewaltsames Ende voraus, wusste aber nicht, wie und wann es eintreten würde. Würde der Krieg gewonnen? Würde man dann durch SS-Flieger-Bomben vernichtet oder mit Maschinengewehren zusammengeschossen? Und wurde der Krieg verloren, war dann das Schicksal nicht erst recht das gleiche – es sei denn, dass die Befreier noch rechtzeitig als Befreier kämen; die Feinde, die mit Tücherwinken aus den Höfen begrüßt wurden, wenn die Angriffsstaffeln die Stadt überflogen. Was bedeuten diese Worte für uns? Unser heutiges Gedenken an die 34.000 Toten des Feuersturms im Juli 1943 steht in einer Spannung: Für die einen Deutschen verband sich mit den Bombenangriffen der Engländer und Amerikaner die Hoffnung, durch einen baldigen Zusammenbruch Deutschlands im letzten Moment der Ermordung durch die Nazis zu entkommen. Haben vielleicht die Bombardierungen der deutschen Städte dazu beigetragen, dass Deutschland rechtzeitig genug zusammenbrach, um mir das Leben vor den Nazis zu retten? Für die anderen Deutschen brachten die Bombenangriffe nichts als einen entsetzlichen Tod im Feuersturm.

             
Wie gehen wir heute mit dieser Spannung um, von der ich mich bis heute noch nicht ganz habe befreien können? Als erstes müssen wir lernen zu akzeptieren, dass diese Spannung Teil unserer deutschen Geschichte ist. Die Nazis haben unser Volk gespalten in die einen und in die anderen, die ermordet werden sollten. Im Gedenken an die Toten des Feuersturms sollte sich diese Spannung aber auflösen. Der Tod eint Gerechte und Ungerechte. Im Feuersturm starben Kinder, schwangere Frauen, alte Menschen, Zwangsarbeiter deutsche Soldaten, Feuerwehrleute, Polizisten und andere, die helfen wollten, Nazis und Antinazis, Schuldige und Unschuldige. Bei dem Gedenken an diese Katastrophe versagen die Worte, um das Ausmaß  menschlicher Leiden zu beschreiben. Es bleibt kein Raum für den Gedanken, der Feuersturm sei die unausweichliche Konsequenz davon gewesen, dass Deutschland am 2. Weltkrieg und an der Ermordung der Juden schuldig geworden ist. Noch viel weniger Raum ist für die rachsüchtigen Gedanken der Rechtsradikalen, die den Feuersturm als Bombenholocaust bezeichnen. Sie wollen das Gedenken an die Toten nutzen, um Hader und Zwietracht zu säen. Sie blicken nur nach rückwärts. Wir aber wollen nach vorwärts blicken. Wir wollen die Toten des Feuersturms jenseits aller Gräben dadurch ehren, dass wir ihren Tod als Mahnung begreifen, für Frieden zu arbeiten. Nie wieder sollen rachsüchtige Rechtsradikale in unserem Land etwas zu sagen haben. Sie stören den Frieden der Toten, den wir bewahren möchten und in deren Namen wir für den Frieden arbeiten wollen. (Dr. Detlev Landgrebe)

 

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